Abfallwirtschaftkritik

Das Anliegen der Autoren ist es, die Berichterstattung zur Abfallwirtschaft zu ergänzen und auch zur Aufklärung dubioser Geschäfte beizutragen, die der deutschen Wirtschaft Schaden zufügen. Wir konzentrieren uns vorerst auf die mechanisch-biologische Abfallbehandlung - MBA.

Donnerstag, 11. März 2010

Mafia unschuldig an Neapels Müllkrise

Nicht nur in Deutschland wird manchmal Murks gemacht. Auch in anderen Ländern klappt das recht gut.

Dr. Daniele Fortini, Chef von Neapels Abfallwirtschaftsfirma ASIA Napoli, gab 2009 der Zeitschrift Waste Management World (WMW / ISWA) ein Interview zum Müllnotstand (auch veröffentlicht in Water World).
Die Anspielung der Interviewerin von ISWA auf die von der Mafia betriebenen illegalen Deponien übergeht er zügig. Offenbar ein Tabuthema. Nein, es habe vielmehr an 15 Jahren Missmanagement gelegen. Und hauptsächlich daran, dass man sich auf die MBA-Technik als finale Entsorgungsmethode verlassen habe. Es fehlte an vorgeschalteter Getrenntsammlung und der Entsorgung des MBA-Produkts. Das war als Ersatzbrennstoff nicht zu gebrauchen und auch sonst nicht zur Verbrennung geeignet. So habe man es in Folie gewickelt und die Ballen dann gelagert. Der Betrieb der MBA war direkt davon abhängig, dass die sogenannten Ecobales (Superwortschöpfung !) in die Verbrennung kommen und die stabilisierte organische Fraktion auf die Deponie. Dieses System sei allerdings nach wenigen Monaten uneffizienten Betriebs zusammengebrochen. So gibt es jetzt in etwa 6 Millionen Tonnen blaue Ballen, um die man sich kümmern muss.

Da hat die Camorra noch mal Glück gehabt. Unschuldig.

Und der Dottore Fortini, der Glückliche, ist unversehrt und noch im Amt, auch als Präsident von ISWA-Italy. Die Interviewerin Helena Bergmann (ISWA secretary) ist schon viel rumgekommen. In Schweden geboren, arbeitete sie früher für den französischen Sondermüllentsorger Sarp Industries (Veolia). Da weiß man halt, wie man mit den italienischen Kollegen umzugehen hat.

Die Abfallexperten, die in den Medien über die Mafia und den Müll was anderes behaupten, müssen sich wohl geirrt haben ...

Das Originalinterview in englisch folgt unten.

Der Abfallnotstand in Palermo im vergangenen Jahr wurde übrigens zwei Mal durch streikende Müllwerker ausgelöst. Sie forderten die Bezahlung ihrer Überstunden. Zudem war der Fuhrpark in einem maroden Zustand. Man spendete den Arbeitern 300 Paar ordentliche Arbeitsschuhe. Da werden die sich riesig gefreut haben.

Zu einem neuen Krisenherd könnte sich Peking / Beijing entwickeln (15 – 20 Millionen Einwohner, je nach Quelle). Ende Dezember 2009 gab die Stadtverwaltung bekannt, dass der Müllnotstand in vier Jahren eintreten könne. Die Müllmenge stiege jährlich um 8 Prozent und betrage jetzt täglich 18.000 t. Dem stehe eine Entsorgungskapazität von 11.000 Tagestonnen gegenüber. Gegenwärtig würden 90 Prozent des Abfalls deponiert. Müllverbrennung wird von der Bevölkerung abgelehnt, aus Angst vor den Abgasen. Die Fachleute wollen sich nun auf das Imageproblem der Verbrennung konzentrieren.
http://english.cri.cn/6909/2009/12/30/2001s538914.htm

Kontrovers wird das Abfallproblem in Delhi (12 Mio. Einwohner) diskutiert. Laut indischen Umweltforschern würden die 150.000 inoffiziellen Abfallsammler der Stadt einen jährlichen CO2-Ausstoß von knapp 1 Mio. Tonnen ersparen, da das Material recycelt würde. Gefordert werden allerdings ein besserer sozialer Status und bessere Arbeitsbedingungen für die trash picker (rag picker, waste picker), denen die Stadt durch die Beauftragung von privaten Abfallunternehmen Konkurrenz beschert. Die tägliche Abfallmenge liegt bei 8.500 t. Jährlich wächst sie um 9 Prozent. Eigentlich müsste für beide Entsorgungsformen, Handkarren und Sammel-Lkw, genügend Müll da sein.
http://us.oneworld.net/article/368358-india%E2%80%99s-trash-pickers-keep-global-warming-check

Einen Schildbürgerstreich leistete sich die nordindische Stadt Chandigarh, in Indien auch City Beautiful genannt, Die Schöne Stadt. Chandigarh hat über eine Million Einwohner und wegen voller Deponien ein Müllproblem. So schickte man eine Delegation zwecks Know-How-Beschaffung nach Deutschland, beauftragte ein indisches Unternehmen mit dem Nachbau der in Deutschland besichtigten Anlage – und dann ging alles schief. Die Stadt ist seit Monaten mit Gestankproblemen in der indischen Presse. Was war geschehen? Der indische Auftragnehmer erstellte einen Detailed Project Report mit mehr als 60 Maschinenpositionen. Nach Absegnung wurde fast alle Maschinen durch billigere inländische Produkte ersetzt. Nur zwei Shredder von Doppstadt entsprachen der ursprünglichen Planung. Dann beschickte man die Anlage mit Mischmüll, der auch Tierkadaver und Lederabfall enthielt. Sie sollte Ersatzbrennstoff erzeugen, durch dessen Verbrennung der eingehende Müll getrocknet wird. Seitdem verursacht der feuchte Ersatzbrennstoff den Gestank und trocknet natürlich den eingehenden Müll nur ungenügend. MPA auf indisch.
http://www.expressindia.com/latest-news/the-stink-just-refuses-to-die/505786/
http://www.expressindia.com/latest-news/only-four-machines-meet-specifications-report/505425/
http://www.indianexpress.com/news/machines-at-plant-not-as-shown-by-german-firm/426374/

Vom warmen Indien, zu einer kühleren Region. Die Stadtväter im kanadischen Ottawa wollten besonders cool sein. Seit Herbst 2009 wird die Biotonne eingeführt und nun ab Anfang Januar 2010 auch abgeholt. So konnten sich die winzigen Bewohner der Tonnen in vielen Generationen ein wenig an den Winter adaptieren. Orgaworld ist mit der Kompostanlage nicht so schnell fertig geworden. Sie ging erst Ende Januar 2010 in Betrieb. Ottawa gehört zu den vier kältesten Hauptstädten der Welt (gleich nach Moskau, Ulan-Bator / Mongolei und Astana / Kasachstan). Die Temperatur fällt im Winter bis unter -30 Grad. Da friert der Biomüll in Minuten ein und taut erst im Frühjahr wieder auf. In Ottawa hat man noch keine Erfahrung mit der Biotonne.

Aus der kanadischen Presse geht hervor, dass viele Leute stinksauer sind. Gefrorener Müll, unnötige Biomüllgebühren, Eigenkompostierung-ist-eh-besser, allgemeiner Frust über Stadträte und „die Papiertüten für den Biomüll sind mit 4 Dollar für 10 Stück viel zu teuer“.
Die örtliche Abfallwirtschaft gibt dann noch ganz tolle Tipps. Um Tiere von der Tonne fernzuhalten, könne man den Deckelrand mit Menthol einreiben. Oder die Tonne gegen Festfrieren innen mit Pflanzenöl besprühen. Doch wie kompostiert man organische Eisbomben? Hat Orgaworld etwa hungrige Kryobakterien gezüchet oder fönt den Müll?

Die holländische Firma
http://www.orgaworld.nl
hat ohnehin schon tief in die Tonne gegriffen. Um das Kompostwerk auszulasten, will sie Tierkot und eingenässte Windeln aus Nachbargemeinden herankarren. Die Einwohner der kanadischen Hauptstadt finden das gar nicht lustig. Kommunikationsversager der Abfallwirtschaft vereinigt euch.

Zurück nach Deutschland. Die MBA in Buchen und Heilbronn sind geschlossen worden. In Buchen gibt es Stress mit den Anliegern wegen der Nachfolgenutzung des Geländes. Sie befürchten erneuten Gestank.

Eleganter geht man im nordhessischen Mecklar vor. Der neue Grundstückbesitzer der Herhof-Ruine, der spanische Stromkonzern Iberdrola, lässt die begonnene MBA abreißen und baut demnächst ein Kraftwerk auf dem Gelände.

Auf Lübeck könnte eine ähnliche Situation zukommen. Nehlsen ist ein- und dann erschrocken wieder ausgesteigen. Nun wird diskutiert, die marode MBA stillzulegen. Demnächst mehr.

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http://www.waterworld.com
In April 2008, Daniele Fortini was named the CEO of ASIA Napoli – the City of Naples’ waste management company. He is also President of Federambiente, Deputy President of CEWEP and President of ISWA-Italy. Mr Fortini was interviewed by Helena Bergman from ISWA about the waste crisis in Naples, Italy.
Daniele Fortini
The waste crisis in Naples has gotten much attention – with critics blaming corruption, political foot-dragging and a mafia-run system of illegal industrial dumps for the ongoing trouble. What is the situation today?
The serious situation that now exists in the city and the metropolitan area of Naples, is a result of more than 15 years of errors and mismanagement. It is therefore not possible – nor are we able – to change the situation rapidly. We are learning how to solve the current situation in a sustainable and integrated approach from errors made in the past.
As one of the initial steps, we have sought to ensure that strategic planning is fully in place, realistic budgets are matched with realistic solutions, and that political responsibilities for waste management are clear. To this end, a legal framework has been established to define and support the implementation of the current approved Waste Management Plan. Efforts have been made to ensure that the regulations in place are suitable tools and correspond to our local situation. Each partner now also works in a secure situation, which has improved in relation to the criminal gangs operating in the area.
This situation shows to its extreme what a complex issue waste planning and siting of waste treatment plants has become, and the consequences of when the systems fails. Planning and inspection/enforcement authorities have been involved – what went wrong?
Looking back I think the principal error was the assumption and reliance on mechanical-biological treatment (MBT) as the final disposal method of municipal solid waste. We know that MBT has a role as an intermediary phase for preparation of the waste prior to further treatment and/or disposal. However, MBT typically needs to be complemented by a system for final disposal. This fundamental error produced the illusion that landfills and incinerators could be avoided. In addition, the lack of appropriate separate collection worsened the situation. Waste was not separated at source and a combined mixed waste ended up at the MBT plants.
With the local landfills closed, and incineration efforts slowed down, reliance on source-separation was abandoned. This is why the MBT plants could not function according to their design. It was not possible to produce the proper quality RDF (refuse derived fuel) fraction as the plants were working at too high a capacity. The resulting waste fraction/product was not suitable for incineration, even if those facilities had been available. As a result, the ‘ecobales’ were simply stockpiled. The operation of the MBT plants was directly dependent on the delivery of the ecobales to incinerators and the delivery of the stabilized organic fraction to landfills. This system broke down after a few months of inefficient operations.
In summary, we were left with some 6 million tonnes of baled waste, stockpiled and requiring proper management. This large volume reminds us that when there is a lack of waste management services, local problems arise quickly and can rapidly escalate. You have seen the photographs that confirm the extent of the problem.
Public opposition shows that communications and public involvement are crucial. You now have the very difficult task of changing public opinion and ensuring that there is trust and confidence from the public. What are you envisaging?
In times of great social restlessness, the media is quite able to manipulate fears regarding health issues and environmental concerns, particularly related to siting and establishment of waste management facilities. In the Naples situation, political and cultural groups diffused hostile public opinion against engineered landfills and waste-to-energy plants. They created an illusion that waste disposal could be done by other methods without problems. Public participation is important and an acquired right in most western countries. But this right of expression also goes hand-in-hand with duties, such as taking the responsibility for opinion-making and the messages that are communicated. We are today faced with a challenge to regain citizen’s trust in an integrated and environmentally sustainable waste management cycle.
Our communication with the public is based on the values of transparency, openness, and responsibility, especially with regard to the problems (waste management) and the solutions (waste management treatment). We endeavour to facilitate an open and objective debate so as to compare different solutions and find those that are well matched to the management of waste disposal in Naples. Our citizens have had to endure quite a frustrating experience during this time and we aim to turn this around using good practices, coupled with short and long-term solutions.
What can one learn from the Naples crisis?
The principal lesson gained is that waste management planning is key to avoiding serious problems. Such planning includes knowing how much waste will be generated, establishing responsibilities for its management, and making decisions based on sound science and using well-proven technologies. The goal of ‘zero waste’ is not a management option, in my opinion. Rather, it is a claim by some that solid waste can or will disappear somehow. This is not reality.
In all societies there will be residuals that cannot be recycled or re-circulated back into the system. The public understands this and can do its part to minimize waste generation, separate and recycle items where practical, and allow for disposal facilities for residuals. The use of integrated solid waste systems requires payments by the users. Such systems are very workable and in many cases, can be aligned for energy recovery purposes along with properly managing the anticipated waste quantities.

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